Vesperkirche nimmt sich dem Thema Heimat an

Heimat geben – alle sind so willkommen wie sie sind. In diesem Sinne startet am 16. Februar 2016 die Vesperkirche Weingarten in der evangelischen Stadtkirche, die bis zum 6. März täglich ihre Pforten geöffnet hat. In Zeiten vieler Flüchtlinge weltweit bekommt auch das Wort Heimat für eine Vesperkirche mitten im Schussental eine besondere Bedeutung. Auch unter den Organisatoren, die in diesen Tagen einen genaueren Blick auf ihre Heimat Oberschwaben werfen.

Seit Jahren wirbt die Vesperkirche mit ihrem Motto „Offen für alle“. So spricht sie mit ihren Angeboten materiell wie seelisch bedürftige Menschen. Aber auch Besucher mit unterschiedlichen Herkünften, für die Oberschwaben zur neuen Heimat wurde. Es sind jedoch auch jene Menschen, die in der Mitte der Gesellschaft stehen, beruflich wie gesellschaftlich gut integriert, die ebenso gerne in die Vesperkirche kommen. In der Regel geben sie mehr, sodass das Angebot eines günstigen Essens in einem beheizten Kirchenraum während der kalten Jahreszeit finanzierbar bleibt. Das Zusammenkommen verschiedener Schichten macht die Vesperkirche Jahr für Jahr so für Tausende von Menschen attraktiv. „Kirche einmal anders“, hatte ein Besucher über die Vesperkirche in Ravensburg vor knapp einem Jahr gesagt.

270 Ehrenamtliche haben sich für die Vesperkirche Weingarten zur Mitarbeit gemeldet. Darunter sind viele bewährte Kräfte, aber auch neue, die die Vesperkirche aus einer neuen Perspektive kennenlernen möchten. Im Zwei-Schichtbetrieb werden sie dann die rund 10000 Gäste, die die Organisatoren in Weingarten erwarten, bedienen. Auch wenn sie an unterschiedlichen Stellen wie Getränke- und Essensausgabe, Begrüßung oder Kinderbetreuung eingesetzt sind, eint sie eins: wertschätzend und großzügig auf die Gäste zuzugehen.

Offen für alle: Die drei Organisatoren der Vesperkirche Weingarten (von links) Friedemann Manz, Harald Dubyk und Gerd Gunßer stehen Mitten in den Vorbereitungen. Foto: Katharina Stohr

Mit ihrem Schwerpunktthema „Neue Heimat – alte Heimat“ möchte die Vesperkirche 2016 auf den Wert von Heimat für jeden einzelnen Menschen aufmerksam machen. Was bedeutet Heimat? Was löst der Verlust von Heimat aus? Und wie kann eine fremde Region zur neuen Heimat werden? Am 1. März werden hierzu Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald und Maik Winter, Professor an der Hochschule Ravensburg-Weingarten, eine Broschüre mit dem Titel „Odyssey/Weingartener Lebensgeschichten“ präsentieren. Darin kommen Menschen zu Wort, für die Weingarten und Oberschwaben zur Heimat wurden oder es immer schon waren. Auch wenn die Vesperkirche nur ein Ort der Geborgenheit auf Zeit ist, ist sie doch ein Ort, an dem Heimat als Schwerpunktthema besondere Bedeutung erlangt. So auch für die drei Organisatoren der Vesperkirche.

Für Friedemann Manz wurde Oberschwaben 2002 zur Heimat. Aufgewachsen in der Nähe von Heilbronn, übernahmen er und seine Frau damals die Gemeindepfarrstelle in Eschach. „Gelockt haben uns die eher dörfliche Struktur von Eschach und die Nähe zur Stadt Ravensburg“, erzählt Manz. Die drei gemeinsamen Kinder sind hier aufgewachsen. Für ihn ist die persönliche Integration in Oberschwaben geglückt. „Im Lauf der Jahre ist ein Netz an Freundschaften und Bekanntschaften entstanden. Das trägt in guten und schwierigen Zeiten. Wichtig sind auch Gemeinschaften wie Kirchengemeinden oder Sportvereine, die zur Beheimatung beitragen“, sagt er.

Im selben Jahr kam Gerd Gunßer nach Oberschwaben. „Des Berufs wegen“, sagt er. Der Hohenloher fühlt sich wohl in Oberschwaben, spricht von einer geglückten Integration. „Wir haben selbst dazu beigetragen, unsere Kinder wurden hier eingeschult und wir haben hier Freunde gefunden“, berichtet Gunßer und ergänzt: „Ich habe mich intensiv mit der Geschichte Oberschwabens auseinandergesetzt. Das war richtige Biografiearbeit.“

Harald Dubyk ist der einzige der drei, der in Oberschwaben aufgewachsen ist. Wenn auch sein Nachname nicht auf eine waschechte oberschwäbische Sozialisation schließen lässt. „Die Familie meines Vaters ist nach dem Krieg aus dem Sudetenland vertrieben worden. Mein Vater hat in seiner Kindheit als Flüchtling und Rucksackdeutscher, wie die Vertriebenen damals oft genannt wurden, sehr stark darunter gelitten. Erst später in seinem Beruf als Lehrer fand er wohl die Anerkennung, die er immer gesucht hat“, sagt Dubyk.

Das Kulturprogramm

Die Vesperkirche ist ein reines Spendenprojekt. So unterstützen auch Künstler die Vesperkirche. In einem begleitenden Kulturprogramm, dass während der Vesperkirchenzeit läuft, gibt es Kunst und Kultur umsonst, damit auch jene, deren Geldbeutel einen Kulturbesuch nicht oder kaum zulässt, eine solche Veranstaltung besuchen können. Um Spenden für die Vesperkirche wird jedoch gebeten, da das Kulturprogramm ganz erheblich zur Finanzierung der Vesperkirche beiträgt. Am 16. Februar eröffnet das Oberschwäbische Kammerorchester das Programm, gefolgt von den Auftritten von der US-amerikanischen Sängerin Lib Briscoe und dem Chor Voice Affair (18. Februar) und dem Klassiktrio Tri-o-colore (19. Februar). Am 23. Februar gibt es ein musikalisches Theaterstück über das Leben und Wirken des Reformators Martin Luther mit dem Titel „Play Luther“. Am 25. Februar tritt dann der Schirmherr der Vesperkirche, Barny Bitterwolf, mit seinem Programm „Barock von unten“ auf. Die Formation Tri Topps um den aus Ravensburg stammenden Schriftsteller Markus Fritsche präsentiert dessen neues Buch „Ausseits“ und begleitet die Lesung mit Musik (27. Februar). Die letzte Vesperkirchenwoche endet kulturell mit Auftritten von Nachwuchskünstlern der Musikschule Ravensburg (2. März) und mit Volksdampf mit ihrem aktuellen Programm „Schöne Grüße aus dem Hinterhalt“ (5. März). Alle Veranstaltungen beginnen um 19 Uhr.